Wolf-Dieter Storl als Autor und Peter Wanner als Besitzer des AT-Verlages propagieren eine hoch riskante Borreliose-Therapie, ohne ihre Heilungsversprechungen auch nur im Ansatz seriös zu begründen. Ein Beispiel dafür, wie skrupellos gewisse “Heiler” die Gesundheit von Patientinnen und Patienten aufs Spiel setzen und gewisse Buchverlage davon profitieren. Auch Kritik aus dem Bundesamt für Gesundheit an Ihrer Überhitzungstherapie lässt die Herren kalt.
Das Buch “Borreliose natürlich heilen” verkündet vollmundig die sanfte Heilung der Borreliose ohne Antibiotika. Wolf-Dieter Storl und Peter Wanner tragen damit eine schwere Verantwortung – stecken diesbezüglich aber ganz offensichtlich den Kopf in den Sand. Nimmt ein an Borreliose erkrankter Mensch im Frühstadium die famosen Tipps ernst und verzichtet auf eine Antibiotika-Therapie, kann die Krankheit sich in ein Spätstadium weiter entwickeln, das kaum mehr auf Behandlungen anspricht und bis zur Invalidität führen kann. Diese Gefahr scheint den Herren egal zu sein. Keine der von ihnen verbreiteten Behauptungen haben sie bisher belegt und dokumentiert.
Als Beispiel für den fahrlässigen Umgang mit Borreliosekranken soll hier die von Storl und Wanner propagierte Überhitzungstherapie genauer unter die Lupe genommen werden.
In der ersten Auflage von “Borreliose natürlich heilen” empfiehlt Storl eine
Überhitzungstherapie bei 42°C Körpertemperatur.
Er begründet diese Empfehlung so:
1. Borrelien vertragen Hitze über 42°C nicht.
2. Die Indianer der Karibik kurierten nach demselben Prinzip die Syphilis.
Zu Punkt 1:
Tatsache ist, dass bei 42°C für die Borrelien keine idealen Wachstumsbedingungen herrschen. Man könnte also davon ausgehen, dass sie sich bei dieser Temperatur nicht vermehren – wozu aber dann die Temperatur konstant auf dieser Höhe gehalten werden müsste…. Dass die Borrelien bei 42°C im Körper abgetötet werden, müsste noch belegt werden. Es gibt dazu jedenfalls keine Studien.
Klar ist allerdings, dass eine Überhitzung des Körpers auf 42°C riskant ist. Ab einer Temperatur von 41°C werden wichtige Eiweisse zerstört, welche für die Gefässregulation verantwortlich sind. Es kann zum Kreislaufkollaps kommen. Auch weitere Schäden zum Beispiel im besonders hitzeempfindlichen Gehirn sind möglich. Es ist ganz einfach so, dass sowohl das eiweisshaltige Gewebe der Borrelien als auch das eiweisshaltige Gewebe des menschlichen Organismus hitzeempfindlich ist. Es fragt sich also nur, wer zuerst stirbt: Der Borreliosekranke oder die Borrelien.
Zu Punkt 2:
Tatsächlich sind Überhitzungstherapien zur Behandlung der Syphilis aus der Karibik überliefert. Offen bleibt dabei, ob dieses Prozedere auch gewirkt hat, denn es gibt aus dieser Zeit selbstverständlich keine Behandlungsprotokolle, die Erfolg oder Misserfolg dokumentieren würden. Aber für gewisse Kreise reicht es offenbar schon, dass ein Verfahren von den Indianern stammt, um es zu idealisieren und jedes kritische Denken auszuschalten. Bei allem Respekt vor indianischen Völkern: Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass die karibischen Indianer die Syphilis mit der Überhitzungstherapie im Griff gehabt hätten. Dazu kommt, dass Borreliose und Syphilis zwar beide von nah verwandten Mikroorganismen verursacht werden. Es sind aber trotzdem unterschiedliche Krankheiten und daher ist es fragwürdig, die Heilungserwartung einfach auf die Borreliose zu übertragen. Ob eine Überhitzungstherapie bei Borreliose hilft, müsste also separat belegt werden. Im übrigen haben die Indianer für die Behandlung der Syphilis wohl überwiegend lokale Überhitzung der Geschlechtsteile durch Teilbäder eingesetzt. Das ist risikoärmer als die von Wolf-Dieter Storl und Peter Wanner propagierten Ganzkörperüberhitzungen.
In der 2. Auflage von “Borreliose natürlich heilen” wird die Überhitzungstherapie überraschenderweise auf 40°C Körpertemperatur gesenkt. Offenbar war dem AT-Verlag doch nicht mehr so ganz wohl mit seiner Überhitzung auf 42°C.
Da stellt sich aber sofort die Frage: Sterben die Borrelien nun plötzlich schon bei 40°C ? In der 1. Auflage stand doch, dass sie Hitze über 42°C nicht vertragen. Leider war Peter Wanner vom AT-Verlag auch bei dieser Frage zu keiner Antwort bereit. Ob die von ihm propagierte Behandlung wirksam ist, scheint ihm egal zu sein. Verheerend bei einer so ernsten Krankheit wie der Borreliose.
Eine Ganzkörperüberhitzung bei 40°C ist weniger gefährlich als bei 42°C, weil die Zerstörung der Eiweisse wegfällt, harmlos ist sie aber immer noch nicht. Überhitzungstherapien werden auch in manchen Kliniken als Begleitmassnahme in der Tumorbehandlung angewendet. Dazu schreib Jutta Hübner, die Chefärztin Onkologie der Habichtswald-Klinik Kassel:
“Ganzkörperhyperthermie wird unterschieden in die moderate Ganzkörperhypertermie bis 39.5°C sowie die darüber hinaus gehenden extremen Ganzkörperhypertermien, die nur im Rahmen eines intensivmedizinischen Monitorings möglich sind.”
Oder mit anderen Worten: Über 39,5°C nur mit permanenter Überwachung der Kreislauffunktionen. Storl dagegen empfiehlt nicht einmal die simpelste Vorsichtsmassnahme: Dass bei der Überhitzung eine Begleitperson anwesend sein sollte, die im Falle eines Kollapses eingreifen könnte.
Vollkommen widersprüchlich bleiben Storl‘s Angaben dazu, wie lange die Überhitzung dauern soll. Für Bäder empfiehlt er (S. 166, 1.Auflage): Ungefähr 15 bis 30 Minuten. Niemand wird wohl im Ernst glauben, dass mit einer Badedauer von 15 bis 30 Minuten eine
Körperkerntemperatur von 40°C erreicht werden kann. Vielleicht bei Verwendung von kochendem Wasser? Irgendwie scheint es auf eine Wirksamkeit gar nicht anzukommen.
Bei Sauna und Schwitzhütte fehlen konkrete Zeitangaben, bei heissen Sandbädern steht 20 bis 30 Minuten, auch hier ist es unwahrscheinlich, dass damit 40°C erreicht werden. Ausserdem werden die Sandbäder ausdrücklich für Patienten mit Herz-Kreislauf-Problemen empfohlen.
Unklar bleibt, wo die Körpertemperatur gemessen werden soll. Unter der Zunge? Im After? In der Achselhöhle? Dazu fehlt jede Angabe. 40°C in der Achselhöhle heisst 40,5°C im Kern. Das ist für das Gehirn und für den Kreislauf nicht ohne Risiko.
Darf man so völlig ungenau bleiben wenn es um die Sicherheit von Borreliosekranken geht, die aufgrund ihrer Krankheit nicht selten bereits vorgeschädigt sind im Herz-Kreislauf-Bereich?
Unklar bleibt, womit die Körpertemperatur gemessen werden soll. Storl schreibt dazu (1.Auflage, S. 163): Mit dem Badethermometer. Mit dem Badethermometer misst man aber normalerweise die Wassertemperatur……….
Dieses Buch ist meines Erachtens ein Beispiel für Scharlatanerie der übelsten Sorte. Es gefährdet Borreliosekranke, schadet dem Ruf der Naturheilkunde enorm und zeigt die mangelnde Qualitätskontrolle in diesem Bereich und im AT-Verlag. Es sieht leider ganz danach aus, dass für Peter Wanner der Profit wichtiger ist als die Gesundheit von Borreliosekranken.
Nachtrag August 2019:
Das Portal DocCheck hat einen sehr kritischen Beitrag zur Überhitzungstherapie publiziert unter dem Titel “Borreliose-Therapie: Heißer Scheiß”.
Kritisiert wird das Angebot einer Klinik in Deutschland, die eine Hyperthermie-Behandlung bei Borreliose anbietet (41,6°C) während zwei Stunden. Die Kosten für einen zweiwöchigen ambulanten Aufenthalt in der Klinik mit zwei Hyperthermie-Behandlungen sollen sich dabei auf 9.500 Euro belaufen.
DocCheck kommentiert:
“Die einzige Studie, welche die Wirksamkeit belegen soll, stammt allerdings aus dem Jahr 1995 und bezieht sich lediglich auf in-vitro-Experimente. Ob das Verfahren genauso auch in vivo funktioniert, ist nicht bekannt und wurde auch noch nie klinisch untersucht. Übertragen lassen sich die Ergebnisse jedenfalls nicht.”
In-vitro-Experimente sind Untersuchungen im Reagenzglas. Im Reagenzglas ist es simpel, Borrelien mit Hitze abzutöten. Dort hat es zum Beispiel im Unterschied zum menschlichen Organismus kein lebendes Gewebe, das geschädigt werden könnte. Ein Mensch mit Borrelien ist aber kein Regaenzglas…..
Im Text auf DocCheck kommt die Infektiologin Dr. Nazifa Qurishi zu Wort:
„Es gibt keinerlei klinische Daten darüber und somit auch keine Evidenz dafür, ob diese Methode zwecks Therapie eine wirkungsvolle Methode ist und was für einen Schaden im Körper entstehen kann, wenn die Temperatur künstlich auf 41°C aufgeheizt wird. Enzyme können im Rahmen der Denaturierung und Koagulation den Stoffwechsel nicht mehr aufrechterhalten. Es kommt zu Zellzerfall, dabei ist das Gehirn besonders gefährdet. Bei einer Temperatur über 41°C werden besonders im Gehirn die Mitochondrien zerstört, dadurch verlieren die Gehirnzellen ihre Funktion. Das Risiko von Hirntod ist dabei zu groß.“
Ausserdem wird in dem Beitrag ein Notfallmediziner zitiert:
“Ich frage mich, ob wirklich eine Körperkerntemperatur von 41,6 °C bei den Patienten erreicht wird. Und ob diese Temperatur dann auch beim Erreger ankommt, halte ich ebenfalls für fraglich. Mir wird ganz anders, wenn ich mir vorstelle, einen Patienten zu sedieren und ihn anschließend derart zu erhitzen. Auch bei Gesunden kann das gefährlich sein. Immerhin steht der Körper unter enormem Stress, die Herzfrequenz geht hoch und der Körper versucht sich durch Schweißproduktion zu kühlen. Doch das geht nicht. Ist das Herz auch noch vorgeschädigt, können zum Beispiel Herzrythmusstörungen auftreten.“
Quelle: Borreliose-Therapie: Heisser Scheiss
Weitere Fachbeiträge von mir zur Kritik an der Borreliose-Therapie nach Wolf-Dieter Storl:
Karde gegen Borreliose: Immer noch wirre Behauptungen statt fundierte Begründungen!
https://old.phytotherapie-seminare.ch/docs_db/132919_Karde-Kraut-Borreliose-wirre.pdf
Karde – kein Kraut gegen Borreliose!
www.phytotherapie-seminare.ch/docs_db/110646_Karde-Kraut-Borreliose.pdf
Dieses Buch kann Ihre Gesundheit gefährden: “Borreliose natürlich heilen” von Wolf-Dieter Storl,
AT-Verlag 2007
https://old.phytotherapie-seminare.ch/docs_db/125713_Borreliose-Storl-Karde-1.pdf
Karde gegen Borreliose – Heilungsversprechungen der fragwürdigsten Art
www.phytotherapie-seminare.ch/docs_db/125527_Storl-Karde-Borreliose.pdf
Beiträge zur Debatte:
Borreliose-Therapie nach Wolf-Dieter Storl: Beiträge zur Debatte 1
http://www.heilpflanzen-info.ch/cms/2008/11/06/pflanzenheilkunde-hoch-fragwuerdige-esoterische-theorien-ein-beispiel.html
Borreliose-Therapie nach Wolf-Dieter Storl: Beiträge zur Debatte 2
www.heilpflanzen-info.ch/cms/2008/12/07/borreliose-therapie-nach-wolf-dieter-storl-beitraege-zur-debatte.html
Karde & Borreliose-Therapie nach Wolf-Dieter Storl: Beiträge zur Debatte 3
http://www.heilpflanzen-info.ch/cms/2008/12/11/karde-borreliose-therapie-nach-wolf-dieter-storl-beitraege-zur-debatte-3.html
Karde & Borreliose-Therapie nach Wolf-Dieter Storl: Beiträge zur Debatte 4
http://www.heilpflanzen-info.ch/cms/2009/02/25/karde-borreliose-therapie-nach-storl-beitraege-zur-debatte-4.html
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
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